Der Schlaf des Yogi

„Der obere Gaumen … der untere Gaumen … das Zahnfleisch … die Zunge … die Gehörgänge … die Ohren … die Täler und Hügel der Ohrmuschel … „
Ich liege auf meiner Matte im Teacher Training Center von Yoga Works in Santa Monica, die Augen geschlossen und folge den Anweisungen von Richards ruhiger Stimme auf eine Erkundungsreise durch meinen Körper. Vor dem Haus hupt ein Auto, aus dem Raum nebenan dringt Babygeschrei herüber. „Nimm die Geräusche um dich herum wahr, ohne zu reagieren. Nimm sie einfach nur wahr.“ Ein Geräusch ist ein Geräusch. Ob es uns beim Meditieren stört, hängt von unserer Reaktion ab. Zu lernen, das was ist, einfach sein zu lassen, ist das Ziel von iRest.
iRest steht für „Integrative Restoration“, eine Form der geführten Meditation, die der amerikanische Psychologe und Yogalehrer Richard Miller, Gründer der International Association of Yoga Therapists (IAYT), entwickelt hat. Nachdem ich lange mit CDs geübt habe, weil ich in Berlin niemanden finden konnte, der diese Praxis unterrichtet, bin ich Anfang Oktober nach Santa Monica gekommen, um an der iRest-Lehrer-Ausbildung teilzunehmen. iRest ist eine modernisierte Form von Yoga Nidra – dem „yogischen Schlaf“, bei dem es darum geht, einen Zustand zu erreichen, in dem der Körper schläft während der Geist wach bleibt. In diesem erweitertem Bewusstseinszustand ist Zugriff auf unbewusstes Wissen möglich, Selbstheilungskräfte werden aktiviert und tiefe Einsichten können gewonnen werden.
Die Übung beginnt mit dem Kreisen der Wahrnehmung durch den Körper, was auf die tantrische Technik des Nyasa zurückgeht, bei der Mantras in bestimmte Körperteile gelenkt werden. Yoga Nidra wird von Tantrikern seit Jahrhunderten praktiziert und wurde in den 1960er Jahren von Swami Satyananda Saraswati, Schüler von Swami Sivananda und Gründer der Bihar School of Yoga, erforscht und gelehrt.
In seiner ersten Yogastunde lernte der Psychologe Richard Miller 1970 die Praxis kennen. Für ihn ein echtes Aha-Erlebnis. „Ich fuhr nach Hause und war total entspannt und präsent. Das erste Mal seit Jahren fühlte ich mich freudig und im Einklang mit dem Universum.“ Die Begeisterung ließ ihn nicht mehr los. Er erforschte das uralte Übungssystem in allen Aspekten und passte es modernen Gegebenheiten an.

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„Über die Jahre wuchs mein Interesse daran, ein breiteres Publikum jenseits der Yogastudios zu erreichen, deshalb habe ich die stark in der indischen Tradition verankerten Aspekte weg gelassen. Anstatt Bilder vorzugeben, fragte ich meine Schüler nach ihren individuellen Erfahrungen während der Praxis. Ich begann Yoga Nidra als intensive Form der Selbsterforschung zu unterrichten, um Menschen zu helfen, zu sich selbst in Kontakt zu treten.“ Jahrelange Erfahrung bestärkte ihn in seiner Überzeugung von den Segnungen dieser Praxis. Yoga Nidra erwies sich als ausgesprochen wirkungsvoll bei Schlafstörungen, chronischen Schmerzen, Depressionen und Angstzuständen.
Er begann mit Soldaten zu arbeiten, die unter Posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Viele erlebten Yoga Nidra als ausgesprochen wohltuend. Dennoch blieben Berührungsängste bei der militärischen Obrigkeit. „Wir sind Soldaten“, sagte man Miller, „Soldaten machen kein Yoga.“ Also gab er seiner Methode einen neuen Namen: „Integrative Restoration“, kurz iRest.
Neben dem griffigen Namen sind es vor allem wissenschaftliche Erkenntnisse, die für eine Verbreitung der alten Praxis in neuem Gewand jenseits der Yogaszene sorgen.
Miller hat verschiedene klinische und wissenschaftliche Studien initiiert und begleitet und steht in engem Kontakt zu Neurowissenschatlern. Die Forschungsergebnisse sind beeindruckend: Während der iRest-Praxis steigt die Konzentration der stimmungsaufhellenden Botenstoffe Serotonin und Oxytocin in Hirn und Körper an, was ein natürliches High auslöst, Hirnareale, die für Selbst-Kritik zuständig sind, werden deaktiviert, selbst-referenzielles Denken hört auf, während auf der anderen Seite Bereiche, die für Kreativität und spontane „Geistesblitze“ zuständig sind, aktiviert werden. Erholungsprozesse und Immunsystem werden angeregt, Stresssymptome gelindert und gesunder Schlaf gefördert.

Zugang zum Unbewussten
„Die rechte Hüfte … das rechte Knie … Oberschenkel … Fußgelenk … Fußsohle … die Zehen …“ Die Schaukel, auf der ich als Kind geschaukelt habe … ein hellgrünes Sommerkleid, das ich mal hatte und an das ich bestimmt 20 Jahre nicht gedacht habe … Ich spüre meine Zehen, höre die Stimme des Lehrers, aber irgendwie drifte ich ab, unzusammenhängende Bilder und Gedanken ziehen vorbei. Das ist ein Hinweis darauf, dass ich gerade in die hypnagoge Phase eintauche, die man auch kurz vor dem Einschlafen durchläuft. Die Hirnströme ändern sich, die Alpha-Wellen des Wachzustandes gehen in Theta-Wellen über. In diesem Zustand wächst das kreative Potenzial. Viele Künstler und Wissenschaftler haben über plötzliche Erkenntnisse berichtet, die ihnen in dieser Art Halbschlafzustand plötzlich klar vor Augen standen.
Die Übung von Yoga Nidra verschafft Zugang zu unterbewussten und unbewussten Bereichen. Das Problem ist nur, dass wir ewig Übermüdeten oft schon beim – zutiefst entspannenden – inneren Kreisen durch den Körper einschlafen. Jeder, der schon mal eine Yoga Nidra-Stunde mitgemacht hat, kennt das: schon nach wenigen Minuten geht irgendwo im Raum das Geschnarche los. Und bis man Schnarchen einfach nur ein Geräusch sein lassen kann, braucht es intensive Übung in innerer Gelassenheit.
Fortgeschrittene hingegen schaffen es, alle Phasen des Schlafes bewusst zu erleben, sich gewissermaßen selbst beim Schlafen und Träumen zuzusehen.
Nach dem Körper wird die Aufmerksamkeit dem Atem zugewandt. Anschließend Gefühlen, Gedanken, Glaubenssätzen. Der Ablauf orientiert sich am System der „Koshas“ – Körperhüllen oder Schichten, in denen sich nach Vorstellungen der Yogaphilosophie menschliche Energie vom Grobstofflichen (dem physischen Körper) hin zum feinstofflichen (Astralkörper) manifestiert.

„Nimm die Gedanken wahr, die in diesem Moment präsent sind … Gedanken und Vorstellungen über dich selbst … das können positive Vorstellungen sein … wenn du sicher und selbstbewusst bist … oder negative Vorstellungen … wenn du dich unzulänglich und nicht liebenswert fühlst … nimm jede Vorstellung wahr … nimm wahr, wie sie sich in deinem Körper anfühlt … bewege dich eine Weile zwischen diesen beiden Erfahrungen hin und her … und dann nimm sie beide gleichzeitig wahr …“
Zu versuchen, gegensätzliche Gefühle gleichzeitig wahrzunehmen ist eine verwirrende Erfahrung. Mein Geist hüpft nervös hin und her. Aber als ich es schaffe, mich ausschließlich auf das Gefühl im Körper zu konzentrieren, passiert etwas Eigenartiges: Es fühlt sich an wie eine plötzliche Verschiebung in meinem Inneren, so als würde ich innerlich weiter und größer werden. Fast alle Kursteilnehmer beschreiben es ähnlich. Das ist die Erfahrung, die Miller als „being awareness“ beschreibt, das Sich-selbst-als- den-Wahrnehmenden, als reines Gewahrsein zu erleben.

Neue Wege im Hirn
Durch regelmäßiges Üben können so Ängste, Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle abgebaut werden, da im Gehirn neue synaptische Verbindungen geschaffen werden. Wie die moderne Hirnforschung bewiesen hat, bleibt das Hirn nämlich bin ins hohe Alter „plastisch“ und ändert permanent seine Struktur entsprechend den Erfahrungen, die es macht. Wer also immer wieder das Gefühl von Angst mit dem Gefühl von innerer Sicherheit „verschaltet“, sorgt dafür, dass irgendwann automatisch, wenn Angstgefühle ausgelöst werden, das Gefühl von Sicherheit mit aktiviert wird – die Angst wird als weniger bedrohlich erlebt.
Dahinter steht das Paradox, dass man Dinge am Effektivsten ändern kann, indem man sie zulässt. Wenn wir negative Gefühle, Glaubenssätze, Konditionierungen „frei lassen“, geben wir ihnen die Chance, zu gehen, sich aufzulösen im weiten Raum reinen Gewahrseins.
Entscheidend dabei ist, dass iREst nie sagt: „Glaub das“ oder „Glaub das nicht“, die Praxis fordert uns auf, in einer Reihe von Experimenten zu erforschen, ob das, was wir für wahr halten, wirklich wahr ist.
Es dabei darum, Aufmerksamkeit zu steuern, die Konzentrationsfähigkeit zu entwickeln und zu lernen, sich allen Sinneswahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken offen und neugierig zuzuwenden, sie wie Richard Miller es ausdrückt, „auf einen Tee und eine Unterhaltung“ einzuladen.

iRest ist gleichzeitig eine einfach zu praktizierende Form der Entspannung für Körper und Geist, die bereits nach einmaliger Anwendung Wirkung zeigt und ein komplexer meditativer Weg, der immer tiefer zu unserer wahren Natur führt. Die Übung wirkt direkt – durch sofortiges Erleben – und fortschreitend, indem Schritt für Schritt Hindernisse erforscht und entfernt werden, die Gesundheit, Wohlbefinden und geistiger Klarheit im Weg stehen.
Im Grunde geht es darum, die Beziehung zu uns selbst und anderen zu verbessern. „Es ist eine Praxis, die Liebe, Güte und Mitgefühl auf allen Ebenen unserer Menschlichkeit weckt“, so Richard Miller.