„Ich bin eine Konstante“

Das Foto von der Eröffnung ist schon leicht vergilbt. Ein altmodischer Ladentisch mit Glasplatte. Gladiolensträuße, die in Vasen auf dem Boden stehen. Und Barbara Kranz, die damals, am 4.August 1984 27 Jahre alt ist. Sie trägt die üppigen Haare modisch kurz geschnitten, so dass die Ohrringe gut zur Geltung kommen. Große runde Ohrringe, bernsteinfarben.
„Groß, groß, groß!“ antwortet die Designerin denn auch auf die Frage, was den Stil ihres Schmuck-Labels Rio charakterisiert. Ohrringe, bei denen ein Tropfen aus jadegrünem Acryl an goldgefassten Glassteinen baumelt, eine vergoldete Kette mit eckigem Anhänger aus rosé-farbenem Strass, ein doppelreihiges Armband aus großen Kunststoffkugeln, verziert mit üppigem Glitzer-Element – in Barbara Kranz Entwürfen mischt sich Hollywood-Glamour mit dem ironischen Protz der 80er-Jahre, dem augenzwinkernden Mehr-ist-Mehr, dem Madonna mit ihrem Look in dem Film „Desperatly Seeking Susan“ ein Denkmal setzte.

Ende der 70er kam die Lübeckerin nach Berlin, angezogen von der Atmosphäre der Freiheit und Kreativität. „Jeder, der eine Idee im Kopf hatte, die er zu Hause nicht durchkriegen konnte, kam damals hier her.“ Um zu malen, Musik zu machen oder Mode. „Wir nannten das nicht Kunst, sondern: machen, was wir wollen.“ Die gelernte Schauwerbegestalterin jobbte hier und da, als Dekorateurin, als Stylistin (auch wenn man das damals noch nicht so nannte) für Film- und Theaterproduktionen, kellnerte im Dschungel, wo damals auch David Bowie und Iggy Pop ein- und ausgingen und arbeitete für die Modedesignerin Claudia Skoda, die sie bis heute bewundert. „Jeder kannte jeden“, erzählt Kranz, „wir waren eine überschaubare Gruppe.“ Die Musiker der englischen Punkband The Vibrators gehörten dazu, mit Gudrun Gut, Mitbegründerin der Einstürzenden Neubauten ist sie bis heute befreundet. Die hat sogar zwei Jahre lang bei der Schmuckproduktion geholfen. „Jeder hat ja alle paar Jahre etwas Neues gemacht“, sagt Kranz, „ich bin eine der wenigen Konstanten. Ich weiß eigentlich auch nicht warum, einen Plan hatte ich jedenfalls nicht.“

Aber eine Begeisterung für Schmuck hatte sie. Dass man mit so kleinen Dingen so große Wirkung erzeugen konnte, hat die Frau mit dem Gespür für Farben und Formen fasziniert. „Mit einer Kette oder einem Armband ist sehr viel zu erleben.“

Anfang der 80er fing sie zunächst mit Haarspangen an, die damals sehr gefragt waren. Sie besorgte sich Material im Metallgroßhandel und fing an zu experimentieren. Draht, Nieten, Lederreste, Aluminiumscheiben oder Gummischlauch – „das fand ich alles rasend toll und habe learning-by-doing die Sachen in die Hand genommen.“ Die Haarspangen kamen gut an, die Leute wollten mehr, Ohrringe waren das nächste. Es lief gut und Kranz entschied, den Schmuck zu ihrem Beruf zu machen. Sie war viel in New York in dieser Zeit und lernte dort Schmuckdesigner kennen, die ihr eine Idee vermittelten, was alles möglich war. Gregg Wolf beispielsweise, heute noch verehrte Underground-Ikone mit Laden im East Village. Außerdem trug sie auf Flohmärkten einen Koffer voll Modeschmuck aus den 40er und 50er-Jahren zusammen. Diese Sammlung war der Grundstock, mit dem sie den Laden in der Bleibtreustraße eröffnete. Ein Jahr hatte sie sich vorgenommen, um festzustellen, ob sich ein Laden mit ihrem Lebensstil und dem Wunsch nach Freiheit verbinden ließe. Aus einem Jahr wurden schnell fünf, sie fand Lieferanten und Produzenten, richtete die Werkstatt ein, stellte Mitarbeiter ein, fuhr auf Messen, zunächst nach München und Düsseldorf, später auch nach London und Paris. Das Geschäft entwickelte sich gut, Rio beliefert weltweit gut 30 Läden und einige Online-Shops und hat einen treuen Kundinnenstamm, darunter Stars und Sternchen, die sich für besondere Anlässe mit dem besonderen Schmuckstück ausstatten. Das Überangebot von Billig-Schmuck, das unter anderem die großen Textilketten auf den Markt bringen, ist keine Konkurrenz für Rio, sagt die Unternehmerin. Ihre Kundinnen, ist sie überzeugt, wollen genau das nicht haben, sondern sind bereit, für eine Kette 300 Euro auszugeben, weil sie individuell und handgefertigt ist.

Barbara Kranz ist eine Frau, der man gerne zuhört. Während sie Anekdoten von früher erzählt oder sich Gedanken über die Modeszene von heute macht, raucht sie Zigaretten, denen sie die Filter abbricht und zwischen den Fingern knetet, deren Nägel rot lackiert sind. Die unaufgeregte Gelassenheit derjenigen, die viel erlebt hat und weiß, was sie alles nicht braucht (eine Presseagentur, einen Onlineshop), mischt sich mit einem jugendlichen Enthusiasmus. Sie ist, wie sie selbst von Claudia Skoda sagt „ein unumstößlich zukunftsgeistiger Mensch“. Dem man gerne glaubt, dass sie das Schmuckmachen immer noch liebt. „Ich kann das bis ans Ende meiner Tag machen.“